In unserem neuen Interview sprechen wir mit Christoph Maser, dem Autoren des „Ikarus Projektes“ aus dem Band „Aus Äonen“ und dem bald erscheinenden Abenteuer „In Scherben“ aus dem Buch „Dementophobia“, über die Arbeit als Rollenspielautor, Lovecraft und über Christophs Vorliebe für One-Shots.
Cthulhu-Team: Erstmal vielen Dank das Du dir die Zeit nimmst für das Interview und wir starten auch ganz harmlos: Stell Dich doch einfach mal kurz vor :-]
Christoph Maser: Mein Name ist Christoph Maser, ich bin Jahrgang 1980 (20. Mai für die Detailverliebten) und entstamme der wunderschönen Stadt München. Zumindest kommt mein Herz daher, mein Körper ist in den letzten Jahrzehnten etwa 12 Mal umgezogen. Ich studiere Evangelische Theologie (Ja, das mit dem Gott, der nicht tot ist, schon gar nicht schläft und mehr Liebe als Tentakel hat… aber das nur nebenbei!) mit Schwerpunkt auf Ethik. Wenn alles gut geht, kommt 2008 das Examen und dann schaue ich mal.
CT: Wie bist Du auf das Rollenspiel Cthulhu aufmerksam geworden?
CM: Durch einen Freund damals 1999 in unserem Kemptener Rollenspielverein. Matthias hat mir, nachdem ich bereits über Lovecrafts Bücher gestolpert war, das Regelwerk ausgeliehen. Da ich zu dieser Zeit ein eigenes Horrorrollenspiel gespielt habe, war ich sehr interessiert an anderen Ideen zu dieser Materie. Dazu kam, dass ich die 1920 und die 1890 für zwei unheimlich spannende Epochen halte.
CT: Worum ging es denn bei deinem eigenen Spiel und konntest du Cthulhu irgendwie ausschlachten oder bist du gleich bei Cthulhu geblieben?
CM: Nun ja, es war das dritte von vielen Spielen und Systemen, die ich bisher gemacht habe und lässt sich am Besten als eine Mischung aus Cyberpunk, Kult und Sci-Fi beschreiben. Der Mars wurde besiedelt, große Makropolen beherbergen die Menschheit und alte Relikte einer geheimnisvollen außerirdischen Kraft lehren die Charaktere das Fürchten. Dazwischen gab es dann noch jede Menge Schießereien, Gemetzel und noch mehr Schießereien. Groß ausschlachten konnte ich Cthulhu nicht, dafür waren die beiden Spannungsansätze zu verschieden.
CT: Und wie kamst Du dann dazu für Cthulhu zu schreiben?
CM: Ich habe mich seit ´98 beim Onlinemagazin „Anduin“ engagiert. Mir hat es unheimlich Spaß gemacht und es war eine super Zeit damals, in der ich viel gelernt habe. Ich habe irgendwann ein Abenteuer geschrieben, das mehr oder weniger offensichtliche Anlehnungen an den Film „Event Horizon“ hatte. Dieses Abenteuer mit dem Namen „Das Ikarus Projekt“ habe ich Frank (Heller) angeboten und zusammen mit Matthias Oden publizierbar gemacht. Es wurde im Band „Aus Äonen“ veröffentlicht.
CT: Und wie kam „Das Ikarus Projekt“ so an?
CM: Ich glaube, gar nicht schlecht, was ich so von meinen Spielern und anderen Spielrunde gehört habe. Hab aber auch Schelte bekommen, weil es doch gewisse Ähnlichkeiten mit „Event Horizon“ gab.
CT: An was hast du denn danach alles mitgearbeitet?
CM: „Das Ikarus Projekt“ war mein Einstand. Dann kommt ein Abenteuer von mir namens „In Scherben“ (Deutschland, 1920, Oneshot) im Dementophobia Band. Einige Beiträge im Cthulhu-NOW Buch sind von mir. Und in der CW findet man mich auch, wenn auch nicht wirklich oft. Darüber hinaus habe ich mit Vera und Daniel Schrader und vielen Helfern 4 Jahre lang die Deutschen Cthulhu-Conventions organisiert habe. Eine super Zeit.
Und ich habe auch Sachen für andere Systeme und Verlage gemacht.
CT: Und an was arbeitest Du im Moment?
CM: Derzeit arbeite ich am Amerikaband mit und stecke mitten in einem Abenteuer, das für den Expeditionenband: Mexiko gedacht ist. Außerdem habe ich eines meiner alten Abenteuer namens „Die traurige Geschichte der Marie Claire“ (Cthulhu NOW) aus Anduinzeiten ausgegraben, das komplett umgearbeitet und neu geplottet wird. Was damit geschieht, ist aber noch nicht klar. Darüber hinaus schlummert schon seit Ewigkeiten das ausgearbeitete Exposee eines weiteren Cthulhu NOW Abenteuers mit Namen „Dioramen“ auf meiner Festplatte.
Und neben meinem Examen – kurze Schreckstarre – habe ich noch zwei Projekte für andere Verlage in der Pipeline, die aber schon fast abgegeben sind.
CT: Erstmal viel Glück für dein bevorstehendes Examen! Nun ans Eingemachte: Wie viel kannst Du uns zu den Neuheiten erzählen und warum ist die Geschichte der Marie Claire so traurig, worum geht es?
CM: Hm, Neuheiten… ich weiß noch nicht mal, ob ich das mit dem Mexikoabenteuer hätte ausplaudern dürfen. Sonst empfehle ich jedem, der sich für Neuigkeiten interessiert, den Newsletter zu abonnieren. Zum Abenteuer selber kann ich auch nicht viel sagen, weil ich nicht spoilern will. Die Geschichte ist aber wirklich, wirklich, wirklich traurig. :-] Die Charaktere sind alle Teilnehmer einer Psychologischen Fachtagung, auf der alles mit rechten Dingen zugeht. Schwerpunkt ist hier auch nicht die Investigation, sondern das Spielen der Charakterrollen… und die Geschichte entwickelt sich um und mit den Charakteren.
CT: Okay, was ist denn mit den Dioramen, hat das irgendwas mit kleinen Szenerien aus Pappe zu tun?
CM: Ja, indirekt. Diorama ist das Wort für Schaubild allgemein. Das Abenteuer – eigentlich wieder als Oneshot konzipiert, jedoch auch mit eigenen Charakteren zu spielen, die einige besondere Anknüpfungspunkte zum Abenteuer haben wie besondere Bekannte, etc – spielt in der deutschen Künstlerszene und wird die Charaktere in den großen deutschssprachigen Städten wie Berlin, München, Wien, Zürich, etc in Geschehnisse verwickeln, die den Begriff der Kunst entsprechend dehnen. Aber auch hier verrate ich nichts, zumal bisher ja nicht mehr als ein Konzept steht, das ich aber noch niemandem gezeigt habe, geschweige denn gespielt.
CT: Ist das Schreiben für Rollenspiele wirklich eine „brotlose Kunst“?
CM: Leben kann man nicht davon. Dafür ist die Bezahlung zu schlecht, was sich aber aus dem Genre heraus erklärt. Zeichnen ernährt da schon eher – hier kann ich mich auch mal schnell über das Unverhältnis in der Vergütung von Autoren und Zeichner aufregen! Gerecht ist das nämlich nicht.
Ich betrachte Schreiben aber als Hobby. Es macht Spaß und bringt darüber hinaus einige Skills für das normale Leben mit sich.
CT: Was sind denn deiner Meinung nach die besten Cthulhu-Szenarien überhaupt?
CM: Cthulhu ist für Kampagnen nicht geeignet! Das ist meine feste und seit Jahren unumstößliche Meinung. Nach einem einzigen erlebten Abenteuer und 2 Jahren im Sanatorium, nachdem ich mir wieder ein einigermaßen stabiles Weltbild etabliert habe und nicht mehr beim Anblick einer Walnuss, eines Kugeschreibers oder einer Wanduhr in Schreikrämpfe ausbreche, würde ich jede Erbschaft einfach prophylaktisch abfackeln, mysteriös verschwundene Freunde in meine Gebete einschließen aber sonst bedauernd mit den Schultern (und nervös mit dem restlichen Körper) zucken, keine Bücher lesen, die vor 1920 erschienen sind, jeden Fremden erschießen und verbrennen, der sich meiner Haustüre nähert und mein Leben damit verbringen, mich friedlich summend im Keller einzusperren. Ich würde niemals wieder freiwillig losziehen. Die einzigen Fragen, in meinem Leben, denen ich nachgehen würde, wären, wo ich den Dosenöffner und meine Medikamente hingelegt habe.
Wenn einzelne Abenteuer logisch aneinander gereiht sind und den Spielercharakter zwingen, aktiv zu werden, dann kann ich mir eine Kampagne eventuell vorstellen, aber nur, wenn sich mein Charakter nicht irgendwie drücken kann – „Schon wieder Ferien auf den Inseln? Nein danke, aber kommt doch auf ein Bierchen in meinem Keller vorbei!“ – oder den eigenen Tod angenehmer empfindet als eine neue Konfrontation mit dem kosmischen Schrecken. Man kann natürlich auch den Mythos dosieren und über verschiedene Abenteuer eine Klimax erschaffen. Wenn ich erst am Ende von mehreren Abenteuern völlig bewusstseinszermalmt bin, dann ist eine Kampagne denkbar. Nur bieten die meisten erschienenen Abenteuer eine solche Klimax nicht – was ja auch nicht Sinn eines Kaufabenteuers ist.
Das, was unter dem Schlagwort des „Personalisierten Schreckens“ rumgeistert, kommt mir aber sehr entgegen. Horror für den Charakter entsteht, wenn er unmittelbar betroffen ist, wenn es um ihn, seine Existenz, sein Wesen geht. Und wenn Horror für den Charakter entsteht, springt vielleicht auch der Funke für den Spieler über.
Daher liebe ich Oneshots. Plot und Charaktere bilden eine Einheit, beziehen sich aufeinander, können nicht ohne das andere und versprechen ein dirchtes Spielerlebnis. Zu guter Letzt meine ich noch, dass man auf gar keinen Fall und niemals gegen den Mythos gewinnen kann. Man kann die Kultisten töten, das Ritual zerstören und die Welt mal wieder für ein paar Tage retten. Das mag ein Sieg sein, aber der Preis, den man zahlen muss, ist gigantisch. Das kann man in Oneshots erzählen – oder natürlich in Kampagnen mit Mythosklimax und entsprechend angepassten Charakteren,…
„Der Sänger von Dhol“ ist so ein Abenteuer mit viel Platz für die Charaktere.
CT: Wenn Du eines deiner Abenteuer empfehlen müsstest, welches wäre das denn?
CM: „In Scherben“ aus dem Dementophobiaband. Ich halte das für mein bestes Abenteuer bisher, in dem ich hoffentlich näher bringen kann, was für mich Kontakt mit dem Mythos ist. Dummerweise ist es eher anstrengend zu leiten.
CT: Kannst Du uns darüber schon etwas mehr verraten oder ist das noch „Top-Secret“?
CM: Gerne. Das Abenteuer spielt in München im Jahr 1923 und bezieht das reale Leben soweit wie möglich mit ein. Die Charaktere spielen alle Ziehkinder eines reichen Industriellen namens Oskar Praider – der eine fiktive Person ist. Dieser, selbst kinderlos, hat ihnen vor Jahren eine Ausbildung finanziert hat. Nun wohnen und arbeiten sie als Pfarrer, Arzt, Jurist, Polizist und Krankenschwester in der Arbeitersiedlung, der sog. Praiderstadt. Hier müssen sie im Abenteuer mit ihrem Leben zurecht kommen, ihren Problemen und Hoffnungen, und die Zukunft planen, zumal ihr Ziehvater gerade in den letzten Zügen seines Lebens liegt. Die Erbschaft steht somit an. Der Mythos ist eher am Rande bemerkbar, thematischer Schwerpunkt des Abenteuers ist derselbe, den auch das Buch behandeln wird.
CT: Kommen wir zu einer meiner Lieblingsfragen: Woher nimmst Du denn deine Ideen?
CM: Ich beobachte meine Umwelt und reihe dann für mich interessante oder grotesque Szenen, Charaktere und Bilder aneinander. Und ich mache mir Bilder im Kopf, wie Charaktere in einer Szene, mit einem NSC, in einer Lokation agieren könnten, welche Bilder und Ideen ich da dann spontan habe und welche ich spannend finde. Das ist mein Grundstock, um den herum oder über den ich ein Abenteuer konzipiere. Ich überlege mir, was ich selber gerne spielen, was mich überraschen würde oder ich orientiere mich an Tricks und Hilfsmitteln aus Drehbuch-Schreibhilfen. Was im Film oder Theater klappt, kann auch im Rollenspiel klappen – kann aber auch voll in die Hose gehen. Dann versuche ich – egal ob Oneshot oder nicht – das Abenteuer um die Charaktere zu bauen und diesen den größtmöglichsten Raum zu geben. Neben der eigentlichen Abenteuerhandlung zu spielen, finde ich selber unbefriedigend – auch wenn mir das auch nicht immer gelingt, zu bieten. Alternativ kann man natürlich für den Hausgebrauch komplett für die Charaktere plotten und somit viel erreichen, aus Filmen oder Büchern kopieren oder bewährte Muster korrumpieren und damit einen Überraschungseffekt erreichen. Und dann kommt das Schwerste, nämlich die Frage nach der Motivation für die Charaktere. Die muss für mich 100% stichfest und glaubwürdig sein, sonst habe ich Bauchschmerzen.
CT: Was funktioniert denn für dich als Motivation absolut nicht?
CM: Mit den Klassikern wie Ein Freund verschwindet oder Man erbt ein Haus tue ich mich schwer. Verschwindet jemand spurlos, so ist das Aufgabe der Polizei oder eines Profis. Ich als Lehrer, Professor, Journalist würde niemals nach ihm suchen. Dafür habe ich berufliche und private Verpflichtungen, dafür bin ich nicht ausgebildet, dafür ist es ein z.T unstemmbarer finanzieller Aufwand. Erbschaften finde ich z.B. auch schwer. Was will ich mit einem Haus auf dem Land? Verkaufen, d.h. ich lasse alles einen Anwalt regeln. Vielleicht nehme ich meine Freunde mit auf einen kleinen Urlaub, aber das klappt nur, wenn meine Mitspielercharaktere wirklich meine Freunde sind, d.h. alle müssen ein und derselben sozialen Schicht und dem selben Background entsprechen. Wer hat sich 1920 als Anwalt mit einem schwarzen Preisboxer, einer Femme Fatale, einem schusseligen Professor für Okkultismus mit zweifellos zweifelhaftem Ruf angefreundet? Und wenn, ist der Ruf und somit das Geschäft ruiniert. Bunte Gruppen ohne Rücksicht auf Soziales, Bildung und Herkunft klappen im Fantasyrollenspiel, nicht in einem am Realismus orientierten Spiel. Und ich reise übrigens sofort wieder ab, wenn der erste tot ist oder sabbert, er hätte ein Monster gesehen.
Motivation muss meiner Meinung für die Charaktere und die Umwelt absolut nachvollziehbar sein. Es klappt dann, wenn die Charaktere handeln müssen, wenn die Konsequenzen des Nichtstuns größer sind als die des Tuns. Erpressung, Verpflichtung, Besserwisserei, Gier, Neid, etc können auch halbwegs glaubhafte Motoren für mich sein, wenn es in realistischen Rahmen läuft oder wenn die Charaktere gar keine Ahnung haben, dass sie in ihrem normalen Leben auf einmal mit dem Mythos konfrontiert werden. Die neueren Szenarien haben da meines Erachtens zum Teil wirklich nette und stimmungsvolle Abenteuereinstiege.
CT: Ist es eigentlich sehr schwer, bei all diesen bereits veröffentlichten Szenarien noch etwas Innovatives abzuliefern?
CM: Ja und nein. Viele Themen sind bereits verwendet worden und langsam läuft man Gefahr, Altes wiederzuverwerten. Ich merke an mir, dass einige meiner Ideen schon längst da waren oder eigentlich nur einen neuen Anstrich verpasst bekommen habe, was sie aber noch nicht zu etwas Neuem macht. Vielleicht sind in den letzten Jahren zu viele Abenteuer für Cthulhu produziert worden?
Trotzdem ist es möglich, „Innovatives“ in Sinne von Neuem zu veröffentlichen. Zum einen stehen mit Cthulhu unendliche Szenarien offen. Klar, die 1920er sind das wohl meist bespielte Setting, aber es bleiben die 1890er (Ich liebe Gaslight und ich würde mich freuen, wenn Pegasus hier wie bei CoC-Now etwas wagen würde.), Cthulhu NOW (Ein schweres Setting, wenn man wirklich Cthulhu Now und nicht Moderner Horror haben will; aber gegen Modernen Horror spricht auch nichts, wenn man „Cthulhu“ `nur´ als Name für ein Horrorrollenspiel und nicht für eine Gattung von Horror ansieht.), das Piratensetting, Wildwest, etc. Und auch für die 1920 ist das Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Man muss nur neue Wege gehen und nicht nur Strukturen der letzten Jahre kopieren. Es ist schwerer geworden. Und es bleibt aber eine Gradwanderung, inwiefern man Lovecraftschen Horror spielen kann und inwiefern Lovecraftscher Horror noch ergiebig ist.
CT: Wo liegt denn für dich der Unterschied zwischen „Modernem Horror“ und „Cthulhu Now“?
CM: Cthulhu ist für mich eine Gattungsbezeichnung im Horror, die mit bestimmten Elementen, Hintergründen und Motiven spielt. Moderner Horror kann Cthulhu sein, ist aber umfassender und allgemeiner, also eher ein Überbegriff für alles Mögliche. Zombiespiele wie Afmbe, die WoD (wenn als Horror verstanden), UA (wenn als Horror verstanden) uvm, das sind alles Spiele in der Moderne mit Horrorelementen. Zum Teil sind die Abenteuermotive austauschbar, Motive überschneiden sind. Das alles ist moderner Horror. Schaut man sich die Abenteuer im CoC-NOW Buch an, so kann man diese ohne mit der Wimper zu zucken sofort in ein anderes System bringen.
Cthulhu Now ist dann Gattung, wenn bekannte Motive der 1920er in die Moderne gebracht werden, was für mich aber fast nicht geht, da unsere Zeit zwar die Motive – z.B. Isolation, Fremdheit, Unbekannte Gegenden, Unerforschbares,… – dem Namen nach bietet, die die Autoren vor bald 100 Jahren beschäftigt haben, diese aber vollkommen anders bearbeiten und sehen. Und die Vorstellungen eines Mythos erschreckt uns nicht mehr. Da sind wir als Gesellschaft weiter…. oder nicht weit genug, wie man es sehen will.
CT: Schauen wir uns den Entstehungsprozess mal weiter an, wie gehst Du vor, wenn Du erstmal eine Idee hast?
CM: Ich suche weitere Ideen. Denn ich finde, dass eine Idee noch kein Abenteuer macht. Ein super Einstieg ist ein super Einstieg, aber absolut noch kein Abenteuer, ein toller NSC ist ein toller NSC, aber noch kein Abenteuer,… Ich finde es immer schade, wenn solche zum Teil genialen Ideen – ob im Abenteuern, Büchern oder Filmen – verwendet werden, um eine Geschichte, die ich sonst eher nicht so spannend finde, drum herum zu weben.
Sobald ich einige Ideen und Bilder habe, versuche ich die zu einem in sich logischen Strang zu verknoten. Das wird manchmal fast zu viel und zu wustig (konfus?). Dann gliedere ich mein Werk, mache mir Notizen zum Ablauf und versuche, es Probe zu spielen. Danach werfe ich meistens alles wieder über den Haufen, weil meine Ideen komplett an der Spielrealität vorbei geschossen sind. Sobald der Plot dann spielbar ist, muss er geschrieben werden, was meiner Meinung nach das größte und schwerste Stück Arbeit ist. Nachdem der Text dann steht, kommt die Postproduktion, d.h. erneutes Probespielen, den Text anderen Spielleitern überlassen, um zu sehen, wie die damit zurecht kommen, etc. Und irgendwann, wenn ich mein Werk nicht mehr sehen kann, ist es fertig.
CT: Wie lang brauchst Du denn für ein Abenteuer, dass alles klingt sehr aufwändig?
CM: Hängt von der Länge ab. Sind aber meist so um die 80 Stunden, bis es in den Druck gehen kann. Richtig lange oder komplizierte Teile schlucken schon 300h Arbeitszeit, wobei damit auch die Zeit gemeint ist, in der ich konzipiere. Das geschieht nebenher beim Aufräumen, Spazierengehen, Bahn fahren, etc. Quellentexte gehen deutlich schneller.
CT: Welche Ratschläge würdest Du einem Anfänger-Autoren geben?
CM:
- Schreibe, weil du Spaß daran hast. Alle anderen Motivationen funktionieren nicht.
- Fang klein an, mit einem kleinen Abenteuer im kleinen Stil. Man muss nicht alles drucken. Und auch eine Veröffentlichung im Internet ist viel wert. Hier geht uns sowieso eine ganze Publikationkultur verloren.
- Eine Idee macht noch kein Abenteuer.
- Innere Logik ist wichtig. Glaubhafte NSCs sind wichtig. Bilder sind wichtig. Eine echte, logische, glaubhafte und verpflichtende Motivation für die SCs ist unabdingbar.
- Wenn es keinen Spaß mehr macht, einfach aufhören. Vielleicht kommt der Spaß wieder.
- Scheue dich nicht vor Kritik und nutze die Chance, was dazuzulernen.
- Sorge stets für ausreichend Kaffee (Oder Entsprechendes).
CT: Sollte man also dem Internet mehr Aufmerksamkeit schenken, obwohl man so wenig Feedback bekommt?
CM: Ich hab damals ´97 angefangen im Internet zu publizieren und dadurch viel gelernt. Überall gab es Fanwork, Abenteuer, Kartenmaterial, Fanzines, etc. Der Austausch war nicht überwältigend, aber da. Und die Leute, mit denen man gearbeitet hat, konnten helfen, kritisieren, nachbessern. Das, so scheint mir, ist irgendwie alles zum großen Teil gestorben, was wirklich sehr schade ist. Feedback und Dank bekommt man im Internet eben sehr wenig und somit ist die Motivation nicht die Beste. Dabei ist es die beste Möglichkeit, mit dem Schreiben anzufangen, sich Kritik und Hilfe zu holen – wenn man das Glück hat, die richtigen Leute zu finden –, zu experimentieren und sich ohne Scheu und Schaden auszuprobieren. Erst wer gelernt hat, ein gutes 15 Seiten Abenteuer zu schreiben, sollte sich trauen, große Projekte anzugehen.
Da gibt es aber nach wie vor ein paar Projekte im Netz, die ich mit großem Interesse verfolge und über die ich mich freue.
CT: Wo siehst du denn die Vorteile des Rollenspiels gegenüber einer Kurzgeschichte oder einem Roman?
CM: Der Faktor Spieler. Beim Schreiben ist es für mich der Faktor Spieler, an dem sich Plotlogik, Szenen und Gesamtstruktur messen müssen. Das ist eine echte Herausforderung, da man z.B. in Romanen seine Geschichte ohne Rücksicht auf den Konsumenten erzählen kann. Wenn ich bei einem Erzähltext will, dass etwas geschieht, dann geschieht es. Bei Rollenspielabenteuern kann man sich das nicht so einfach machen und muss immer einen Denkschritt dazwischen einlegen: „Was würden die Spieler tun?“
Am Spieltisch ist es die Interaktivität. Ein Rollenspiel funktioniert nie alleine. Man verbringt eine mehr oder weniger gute Zeit miteinander. Ich bin ein Spieltischtyrann und lege viel Wert darauf, dass beim Rollenspiel gespielt wird. Outtime-Palaver kann outtime passieren. Somit erzählt man gemeinsam konzentriert eine Geschichte, gibt sich gegenseitig Impulse und Feedback für Szenen und Darstellungen, ist unmittelbarer an den Charakteren oder am Plot, fordert sich heraus. Man lebt in einer Zweckgemeinschaft. Wenn diese Zweckgemeinschaft noch mit Sympathie und Vertrauen verbunden ist und alle Spaß daran haben, zu erzählen, darzustellen und zu interagieren, ist das ein fantastisches Gefühl.
CT: Hast Du dich auch mal an einer Kurzgeschichte oder einem Roman versucht?
CM: Ja. „Straßenrose“ ist eine DSA-Kurzgeschichte, die im Band „Unter Aves Schwingen“ (Fanpro 2005) anlässlich des Jubiläums 25 Jahre DSA veröffentlicht wurde. Sonst finden sich in der Anduin und auch sonst im Internet die eine oder andere Kurzgeschichte von mir, die jedoch zum Teil sehr alt sind. Über das Thema Roman reden wir mal wann anders… zum Beispiel nach dem Examen. Lust hätte ich. Zeit nicht. Und Talent weiß ich nicht?
CT: Wie siehst du denn die Zukunft des Cthulhu-Rollenspiels in Deutschland?
CM: Ich sehe die Zukunft des Rollenspiels insgesamt eher etwas düster. Vielleicht ist die Zeit der Kommunikationsspiele vorbei und RPG wirklich etwas aus den 90ern. Die Technik nimmt zusammen mit den heutigen Kommunikationsmöglichkeiten diese Aufgabe für uns derzeit auf sich. Verabredete man sich früher am Spieltisch zum Orks kloppen, geht das heute viel entspannter, mit weitaus weniger (Vor-)Arbeit, sozial ohne großen Zwang und mindestens ebenso, wenn auch anders lustig vor der Konsole oder im Internet. Es fehlt an Nachwuchs und die früheren Stammspieler werden älter und Freizeit ist eben nicht mehr Spielzeit. Allerdings will ich nicht unken und von den guten alten Zeiten reden, denn es ist nicht alles schlecht heutzutage.
Cthulhu wird weiterhin Bestandteil der Szene sein und neben den anderen RPG stehen, die man als „die Großen Systeme“ ansieht. Aber es wird sich meiner Meinung nach entwickeln müssen wie alle anderen Spiele auch.
CT: Ich welche Richtung soll es denn gehen? Stellen wir uns einfach mal vor Du wärst der Chefredakteur und dürftest jetzt planen. Was sollte unbedingt erscheinen?
CM: Zuerst mal bin ich unheimlich dankbar, dass ich das nicht entscheiden muss. Da macht Frank seinen Job sehr gut. Und die Nutzungsrechte aus Amerika erschweren die Umsetzung vieler Ideen. Aber ich phantasiere mal rum… Schwerpunkt wäre für mich das Regelsystem. BRP unterstützt meiner Ansicht nach nicht wirklich den Stil des Spiels. (Ob das „Trial of Cthulhu“ mit Schwerpunkt auf Investigation für mich die passende Alternative ist, ist fraglich). Hier könnte man Ballast abwerfen und Regelsystem und Spielstil synchronisieren. Vielleicht würde ich auch neue Settings nachhaltig fokussieren neben NOW und den 20ern. Das Hexersetting ist echt nett, ich mag Gaslight,… Auch die Zusammenarbeit mit PC-Spielen wie „Das Erbe Cthulhus“ finde ich einen guten Weg. Sprich, die machen das schon gut und sollten das auch weiterhin so machen, was im Rahmen des Möglichen ist.
CT: Kommen wir zum Schöpfer des Cthulhu-Mythos, was bedeutet Dir Lovecraft und sein Werk?
CM: Persönlich nicht viel, wenn ich ehrlich bin. Das tut mir leid, aber ich finde Lovecraft nicht besonders toll. Es gibt meiner Meinung weitaus spannendere Autoren, die im Geiste seines Mythos schreiben, den ich wiederum sozialgeschichtlich und theologisch spannend, als Background für Horrorgeschichten jedoch nicht mehr zeitgemäß und auch nicht sonderlich interessant finde. Und persönlich tut mir der arme Kerl sogar leid. Das war kein wirklich schönes Leben, was er da hatte. Nichtsdestotrotz ist er eine Referenz der Horrorliteratur, diente als Inspiration für unzählige Künstler und hat so Anerkennung verdient.
CT: Welch ein Frevel! :-] Was gefällt Dir denn an Lovecraft nicht?
CM: Ich fand die Plotabläufe redundant mit immer den selben Motiven behaftet – Dunkle Magie, Lovecraft Country (War mal jemand im Winter in den kleinen Dörfern des Hochsauerlands? Da kann Arkham Country einpacken. *Schüttel*), verrückte „Geisteswissenschaftler“ (Das freut mich natürlich, dass wir Geisteswissenschaftler auch mal echt gefährliche Burschen sein durften. Danach waren es ja vor allem die Physiker (Raketen und Roboter), heutzutage die Chemiker und Biologen (Genzombies oder Viren)… ich frag mich, wann mal wieder ein verrückter Soziologe oder ein Professor für empirische Ethnologie die Welt an den Rande der Apokalypse bringen darf!), arme Soziopathen,… Auch halte ich die Mythoskreaturen – bis auf wenige Ausnahmen – für nicht wirklich gruselig, nur destruktiv geistlos. Das Fremde mag einmal fremd und damit unheimlich sein, und beim zweiten Mal ist es eben nur fremd? Das „kosmisch, unbegreifliche, namenlose Grauen“ ist nicht beschreibbar und somit für das Medium des Geschichtenspiels ungeeignet. Furcht und Grauen entsteht für mich weniger im Kontakt mit Fremden – da ist zu viel Faszination und Neugier dabei -, sondern, wenn ich mir überlege, was das für mich bedeutet.
CT: Noch mal kurz zurück zu HPL: Wie bist du auf ihn aufmerksam geworden?
CM: Er wurde mir anno dazumal empfohlen, als ich gerade die „Klassiker“ der „Szeneliteratur“ gelesen habe, bzw was ich mit 19 darunter verstand. Das war das Jahr, wo ich mich an Sterling, Gibbson, Lovecraft, Poe, etc angenähert habe und viel Zeit damit verbracht habe, die Stadtbibliothekarin mit meinen Buchwünschen zu entsetzen. Die erste Geschichte war Das Ding auf der Schwelle, was ich noch ganz nett fand. Besonders in Erinnerung ist mir diese Geschichte deshalb, weil ich mitten in der Nacht in einem Großraumwagen der Bahn saß und jedesmal, wenn ich von meinem Buch aufblickte, immer weniger Menschen im Wagon saßen. Das endete damit, dass ich mir die 60 Plätze nur noch mit einem schlafenden Pendler und einer strickenden, älteren Frau teilen musste, die mir zweimal aufmunternd zulächelte, weil ich offenbar sehr unglücklich aussah.
Ruf des Cthulhu hat mich dann aber bereits etwas ermüdet. Die Musik des Erich Zann war die letzte selber gelesene Geschichte. Hab mir dann die anderen „Klassiker“ (Pickmans Modell, Schatten über I., etc) als Hörbuch zugelegt und beim Bügeln oder Putzen angehört. Vor zwei Jahren hab ich nochmal „Call of Cthulhu“ im Original gelesen und es hat mich irgendwie gar nicht abgeholt.
CT: Welche Geschichte würdest Du jemanden empfehlen, der noch nie etwas von Lovecraft gehört hat?
CM: „Das Ding auf der Schwelle“, weil es die erste und daher spannenste Geschichte war. Allerdings wäre „Call of Cthulhu“ wohl meine erste Empfehlung, weil der Calamari persönlich darin mitspielt, der ja wohl das prominenteste Geschöpf des Lovecraftschen Mythos ist.
CT: Welche Geschichten magst Du von HPL denn gar nicht?
CM: Ähm,… siehe oben.
CT: Gut, lassen wir den alten Lovecraft mal beiseite: Wie sieht es denn mit anderen Autoren aus dem Bereich Cthulhu-Horror aus, welcher Autor ist Dir denn da der Liebste?
CM: Ich mag Neil Gaimann ganz gerne, auch wenn der natürlich nur sehr marginal als Autor aus dem Bereicht des Cthulhu-Mythos gelten kann. Dasselbe gilt für Pratchetts Kerkerdimensionen. Ich nenn‘ dann hier auch mal den Hastur-Mythos von Detwiller und Tynes, wie er in den DG-Bänden interpretiert wurde und eigentlich auch nicht zu dieser Frage passt. Brian Lumley habe ich noch gelesen, ebenso wie Frank Belknap Long (Ich liebe die Dogs of Tindalos.) August William Derleth finde ich interessant, wenn er versucht, seine christlichen Vorstellungen in seinen Büchern zu verarbeiten. Sonst lese ich recht wenig Horror, eher Fachliteratur, Kochbücher, gute Fantasy, Krimis, Thriller,… derzeit mag ich Reiseführer sehr gerne.
CT: Wie schaut es jenseits des Cthulhu-Rollenspiels aus, was gefällt Dir da?
CM: Ich bin da wirklich offen für alles. Ich habe viele Systeme angespielt, einige haben mich begeistert, andere konnten mich nicht überzeugen. Mein Bücherregal quillt über vor Grundregelwerken und Regelbüchern. Ich glaube, ich könnte meinen nichtexistenten Kindern ein Langzeitstudium finanzieren, wenn ich all diese Bücher wieder zu Geld machen würde. Außerdem habe ich in den letzten 15 Jahren Spielzeit knapp ein Dutzend eigene Systeme erfunden und mit mehr oder weniger großem Erfolg gespielt.
Ich bin der Fantasy immer treu geblieben und spiele eher „Historische Fantasy“, wenn man das so nennen darf. Darüberhinaus liebe ich Weird-Settings, die ich selber erfinde und mit denen ich dann meine Spielrunden quäle. Historisch finde ich wie gesagt Gaslight spannend und in meinem Körper schlägt neben meinem Herz irgendwo noch eine Dampfmaschine. Steampunk und die anderen Punk-Settings (Dieselpunk, Atomic-Punk, Historic-Punk,…) finde ich ganz großartig und wirklich spannend.
CT: Welches Buch liest Du denn gerade?
CM: Derzeit lese ich für das Studium. Meine letzten „normalen“ Bücher waren aber Pratchetts „Ein Hut voller Sterne“ und ein Buch über Mexiko.
CT: Und die besten Horrorfilme sind…?
CM: Ich mag Horrorfilme, wobei der letzte echt gruselige einfach „The Ring“ war. Seitdem habe ich mich meistens sehr gut amüsiert oder geärgert. „Event Horizon“ ist super, „Die Vögel“ auch – wenngleich nicht unbedingt als Horrorfilm zu betrachten, jedoch meisterhaft im Spannungsaufbau.
CT: Vielen Dank Christoph für das Interview, die letzten Worte gehören natürlich Dir!
CM: Sorry, das wurde alles ein bißchen länger und dann nochmal länger.