Haben Sie schon einmal von dem Mythos des Spielzeugmachers gehört?

In der spanischen Unterwelt der 1920er Jahre spricht man von dem berüchtigten Juguetero. Für die Menschen ist er ein Terrorist, ein Krimineller oder sogar ein Dämon, aber die Behörden bezeichnen ihn einfach als gefährlichen Anarchisten. Weder die Ordnungskräfte noch die echten Anarchisten wissen etwas Genaues über ihn. Sein Verstand sprengt Bankfilialen in die Luft und ermordet mächtige Männer. Seine Killer verschwinden spurlos, nachdem sie ihren Auftrag erledigt haben. Er ist schnell, effizient und tödlich und scheint über Kräfte zu verfügen, die sich dem menschlichen Verständnis entziehen. Deshalb haben König Alfonso XIII. und der Direktor der Guardia Civil beschlossen, heimlich eine Gruppe zusammenzustellen, die auf unkonventionelle Fälle spezialisiert ist. Ihr seid diese Gruppe, Menschen mit schlechtem Leumund, die nach okkultem Wissen gieren. Nimmst du die Herausforderung an und nimmst es mit der geheimnisvollen Unterwelt des Cthulhu-Mythos Spanien auf?

In The Toymaker Murders finden Sie:

Ein Rollenspiel-Abenteuer, das an drei verschiedenen Orten im turbulenten Spanien des Jahres 1926 spielt.

Eine vollständige historische Beschreibung der Epoche, die es Ihnen ermöglicht, das Abenteuer in allen Einzelheiten zu erzählen.

Alle Regeln für das Milestones-System, die Sie zum Spielen benötigen, einschließlich Details zum Sanity-Management und den Vasallen.

Fünf vorgefertigte Spielercharaktere, zahlreiche Nebenfiguren aus der Zeit und namenlose Schrecken, die du in deinen Lovecraft-Spielen einsetzen kannst.

Vorbestellung auf der Nosolorol-Website oder im Fachhandel in Ihrer Nähe.

Die physische Ausgabe enthält eine kostenlose digitale Ausgabe.

Dezember Sale bei Cubicle 7

Wie Cubicle 7 heute bekannt gab, läuft ihre Cthulhu Lizenz zum Jahresende ab. Im gegenseitigen Einverständnis wurde beschlossen, diese nicht mehr zu verlängern. Ihr könnt euch also noch auf einen Weihnachtsausverkauf einstellen.

Cubicle 7’s Call of Cthulhu license expires at the end of the year and by mutual agreement with Chaosium it is not going to be renewed. There are no hard feelings on either side, and we are still on great terms – these things happen. Call of Cthulhu is Chaosium’s baby and we wish them all the best.

We’ve enjoyed working with Call of Cthulhu and Chaosium, but we’re also looking forward to the challenge of designing our own game systems for Cthulhu Britannica, World War Cthulhu and The Laundry. Putting together games that really showcase the themes of their setting is what we do best, after all! Keep an eye on the newsletter for more information in due course.

Stay tuned – we’ll be holding a sale on our Call of Cthulhu titles in December!

Mythosjäger – Aktiv gegen Cthulhu IV

In dieser Episode meiner kleinen Artikelreihe werde ich der Frage nachgehen, in wieweit ein Pakt mit dem Bösen einem Mythosjäger bei seiner Arbeit helfen kann. Konkret geht es darum, dass eine rund um die Mythosjagd konzipierte Kampagne den Spielercharakteren durchaus den nötigen Freiraum zur Verfügung stellt, Mythoselemente als Waffen zu benutzen. Konkret sind dies meistens wohl Zauber und Mythosbücher. Aber auch Kreaturen selber können auf mehreren Seiten stehen.

Cthuloide Charaktere

Jean Qualls ist ein Ghoul. Sie ernährt sich von Leichenteilen, sie kann einen Menschen mit ihren Krallen zerreißen wie Papier und ihr natürlicher Anblick kostest Stabilität. Dennoch ist Jean Qualls auch Mitglied einer Delta Green-Zelle. Als Agent Nancy kämpft sie auf der Seite von aktiven Mythosjägern. Ihre „Verkleidung“ lässt sie als attraktive Blondine erscheinen und sie lebt mitten unter den Menschen.

Dieses Beispiel aus einer offiziellen Publikation für das Rollenspiel Cthulhu zeigt deutlich, dass es von großem Reiz sein kann, selber einmal das Monster zu spielen. Neben Ghoulen gibt es andere Kreaturen, die sich sehr gut dazu eignen, sie als Charaktere zu führen. Seien es nun die durchbohrten Diener des Glaaki, Tiefe Wesen oder gar Shogotthen-Lords. Das Malleus Monstrorum strotzt von Wesen, die in einem Verwandlungsprozess entstehen: aus normalen Menschen werden unmenschliche Abscheulichkeiten. Genau dieser Prozess aber muss nicht das Ende eines Charakters bedeuten, sondern kann eben diesen ausmachen. Anregungen für interessante, nicht-menschliche oder in der Verwandlung begriffene Persönlichkeiten bietet diese Monster-Sammlung auf jeden Fall. Um ein Monster spielen zu können, sollte man allerdings ein paar Dinge bedenken.

  • Das Monster muss menschlich aussehen: eine zumindest realistisch machbare Tarnung als Mensch ist die Grundvoraussetzung. Ein echtes, unbeschreibbar entsetzlich geformtes Wesen wird wohl eher eine wissenschaftliche Sensation sein als ein benutzbarer Charakter. Wesen, die eine lange Transformation durchmachen, zum Beispiel die Tiefen Wesen (siehe dafür auch Lovecraft’s Schatten über Innsmouth), bringen diese „Tarnung“ von Natur aus mit sich. Der Mensch wird nur im Laufe der Zeit immer weniger menschlich.
  • Das Monster muss einen freien Willen haben: eine Großzahl der Dienerrassen ist einer Gottheit bedingungslos ergeben und steht völlig im Banne einer fremden Macht. Solche völlig fremdbestimmten Wesen sind nicht mehr spielbar. Allerdings hat man hier die gleichen Möglichkeiten wie mit der körperlichen Transformation – der Verlust des freien Willens kann zu einem schleichenden Prozess werden, gegen den sich der Charakter zur Wehr zu setzen versucht. Angefangen von Albträumen über schlafwandlerische Ausführung fremder Befehle bieten sich hier dramaturgisch auch tolle Optionen für den Spielleiter.
  • Das Monster muss menschlich motiviert sein: es wird extrem schwer Fallen, einen Charakter im Sozialgefüge einer klassischen Abenteurergruppe zu spielen, der eine unmenschliche oder gar völlig unnachvollziehbare Motivation hat. Es hilft dem Spieler und den Mitspielern, wenn das Streben des Charakters nachvollziehbar ist. Ein starkes Motiv könnte hier zum Beispiel das Ankämpfen gegen die eigene Transformation und der damit verbundene Drang, mehr über den Mythos herausfinden zu wollen, sein.

Mehr noch als bei einem menschlichen Charakter ist es beim Erschaffen einer Kreatur als Spielfigur wichtig, sich mit der Frage zu befassen, warum gerade diese sich den Mythosjägern anschließt. Beim genannten Beispiel von Jean Qualls ist es so, dass ihre Fähigkeiten als Ghoul für Delta Green immens von Vorteil sind. Mit Hilfe strenger Kontrolle ihrer ghoulischen Triebe und einem Paar Aufpassern an ihrer Seite, wird sie so zum mächtigen Werkzeug. Allerdings stehen diese Aufpasser auch jederzeit bereit, sie zu töten, falls ihre Triebe überhand nehmen. Die Vorteile, einen Ghoul in den eigenen Reihen zu haben, überwiegen hier eindeutig die Nachteile.

Call of Cthulhu eignet sich hervorragend, um eine düstere Version von Hellboy zu spielen. Spielleiter und Spieler sollten sich nur gemeinsam überlegen, wie die Kreatur in die Kampagne passt. Die Beschreibungen im Malleus Monstrorum zielen in der Regel darauf ab, die Wesen als Gegner zu beschreiben und nicht als Spielercharakter. So bieten sie allerdings genug Raum für Freiheiten und Interpretationen, eine Figur mit Profil zu erschaffen. Einzelne Aspekte, die den Charakter spielbar machen, muss man detaillierter ausarbeiten und andere, die vielleicht dabei stören, das Monster in der Gruppe zu „sozialisieren“, einfach außer Acht lassen. Immerhin sind z.B. nicht alle Tiefen Wesen gleich. Die Angaben im besagten Quellenbuch sind lediglich Richtwerte und warum sollte nicht auch das Abnormale von der Norm abweichen dürfen.

Mythosbücher als Bettlektüre

Spätestens das Necronomicon (das von Pegasus, nicht das von Abdul Alhazred) macht einem klar, dass man das Book of Eibon und seine literarischen Weggefährten nicht mal eben so auf der Terrasse ließt wie Lovecraft’s Berge des Wahnsinns. Allerdings sind es gerade diese Werke, aus denen ein Mythosjäger die wertvollsten Informationen über seinen Gegner ziehen kann. Er steckt in einem Dilemma zwischen seiner eigenen geistigen Gesundheit und dem Vorteil des Wissens beim Kampf gegen das Übernatürliche. Besagtes Quellenbuch steckt voller Anregungen und Abenteuerideen, die diesen Zwiespalt verdeutlichen und die neben dem reinen Verlust von Spielwerten tolle dramatische Situationen für das Rollenspiel schaffen. So gefährlich das Lesen eines Mythosbuches auch sein mag, ein professioneller Mythosjäger wird darum nicht herumkommen. Ein paar Anregungen, wie man damit umgehen kann habe ich bereits in meiner eigenen Gruppe umgesetzt und damit gute Erfahrungen gemacht.

  • Das Lesen als Schlüsselszene: wie schon im Necronomicon-Quellenbuch beschrieben, hat das Lesen eines solchen Werkes oft starke Auswirkungen, die man prima ausspielen kann. Den tatsächlichen Inhalt des Buches kann man schwer vermitteln, da irgendwelches Geschreibsel in henochischer Sprache eher albern wirkt. Darum unterstreichen die gruseligen Nebenwirkungen beim Lesen die Dunkelheit des Geschriebenen. Die Vorbereitung des Lesens, das Lesen selber und die Nachwirkungen reichen aus, um damit ein kleines Abenteuer zu gestalten. Auf diese Art wird auch den Spielern klar, dass die zu verarbeitende Lektüre keineswegs auf den heimischen Nachttisch gehört. Professionelle Mythosjäger können für das Lesen von Mythoswerken Standard-Verfahren und Leseorte entwickeln, die vom düsteren Tempel im Keller bis hin zu einer einem Hochsicherheitslabor gleichenden Anlage reichen.
  • Psychologische Betreuung beim Lesen: wenn man schon weiß, dass der Leser unter psychologischen Folgen leiden wird, dann kann man sich in gewisser Weise darauf vorbereiten. Ein stabiles mentales Umfeld z.B. durch einen geregelten Tagesablauf, genügend Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr und die Anwesenheit vertrauter und geliebter Personen kann beruhigend wirken. Auch zwischen das Lesen eingeschobene Psychotherapiesitzungen, Erhohlungsphasen in der Natur oder Ablenkung durch erfreuliche Aktivitäten helfen bei der Verarbeitung. Idealerweise ließt man ein solches Buch unter ärztlicher Aufsicht. Wie sich das regeltechnisch auf den Stabilitätsverlust auswirkt, muss der Spielleiter von Fall zu Fall entscheiden. Eine Handlungsrichtlinie kann man dem Quellenbuch Dementophobia entnehmen.
  • Spezielle Leser: die Auswirkungen des Mythosbuches auf den menschlichen Verstand sind klar in Regeln gefasst. Aber sie beziehen sich stets auf den Verstand eines „normalen“ Menschen. Was aber, wenn der Leser eine abnormale Persönlichkeit aufweist? Vielleicht eine Entwicklungsstörung in Form von Autismus oder er ist ein Inselbegabter, ein idiot savant? Dann könnten sich die Regeln für geistige Stabilität ändern und vielleicht ist es gerade die Fähigkeit, cthuloides Wissen emotional völlig unberührt aufnehmen zu können, die diesen Charakter ausmacht? Eine solche Person könnte ein wahres Geschenk für eine Organisation wie Delta Green sein. Um sie kann eine ganze Spielergruppe aufgebaut werden. Ein Charakter könnte der medizinische und psychologische Betreuer sein, ein anderer die „Muskeln“ des Teams, etc.

So wie Mythosjäger systematisch gegen die Kreaturen vorgehen müssen, so müssen sie auch diesbezügliche Informationen systematisch auswerten. Dies bringt ihnen einen Vorteil gegenüber völlig unbedarften Lesern, die im Laufe ihres normalen Lebens plötzlich mit derartig schrecklicher Literatur konfrontiert werden.

Zaubernde Spielercharaktere

Als letzte Komponente des Mythos, die man im Kampf eben gegen diesen einsetzen kann, bieten sich Zauber hervorragend an. Einige davon helfen zum Beispiel, sich vor diversen Wesen zu schützen (Älteres Zeichen oder Kreis des Schutzes), andere wiederum machen das Entdecken von Einwirkungen des Mythos leichter (Pulver des Ibn Ghazi). Es gibt sogar einige Zauber, die man als Waffe einsetzen kann und vernachlässigen darf man auch auf keinen Fall die Sprüche, die eine Kreatur binden oder gar einen Gott vertreiben können.

Für eine Gruppe Mythosjäger ist es daher durchaus hilfreich, einen praktizierenden Magier in den eigenen Reihen zu haben. Neben dem Nutzen von Zaubern als Mittel gegen den Mythos bieten sich auch hier wieder exzellente rollenspielerische Möglichkeiten. Ein Okkultist/Magier ist ein sehr interessanter Charakter und auch die Ausübung von Zaubern bietet eine Menge Plotansätze. Details zu den Wirkungen der Mythoszauber findet man im Quellenbuch Arcana Cthulhiana oder im Spielleiter-Handbuch.

Auch Zauber haben starke Auswirkungen auf den Zaubernden. Jedes Ritual zehrt an dessen Substanz (sei es auch nur durch den Verlust von Magiepunkten). Jeder Zauber fordert den Zaubernden zu einem persönlichen Opfer heraus. Genau wie das Spielen einer sich verwandelnden Mythoskreatur oder den Verlust von geistiger Stabilität beim Lesen von Büchern hat man hier einen sehr dramatischen Aufhänger für die Geschichte eines Charakters. Obwohl der Effekt eines Zaubers spektakulär sein kann, steht wohl dieser Kampf gegen den persönlichen Verlust im Vordergrund.

Ein Spiel um persönlichen Horror

Wenn man all diese Komponenten zusammenfasst, kann man leicht aus Cthulhu ein Spiel machen, dass sich neben der extrovertierten Jagd auf den Mythos auf den persönlichen Horror der einzelnen Charaktere konzentriert. Jede Verwendung des Mythos als Waffe oder Hilfsmittel führt unweigerlich zu einem Verlust der Menschlichkeit. Eine Gruppe Mythosjäger, die auch übernatürliche Wesen als Mitglieder hat, eröffnet ganz neue Kampagnenansätze und Spielmöglichkeiten. Selbstverständlich sind diese nicht auf das Spiel als Mythosjäger beschränkt, aber gerade diese können eine Heimat und eine Charaktermotivation für Spielfiguren sein, die zu tief in den Abgrund gesehen haben.

Ich hoffe, mit meiner kleinen Reihe einige Ideen gegeben zu haben, wie man die eigene Mythosjäger-Kampagne aufbauen kann. Natürlich gibt es hier auch schon jede Menge offizielles Material. Besonders ans Herz legen möchte ich jedem Cthulhu Spieler das Setting Delta Green. Aber mit der Theron Marks Society hat Chaosium schon wesentlich früher einen Handlungsrahmen für diese Art des Cthulhu-Rollenspieles geschaffen.

Viel Spaß beim Kampf gegen Cthulhu und Konsorten. Kickt die Biester richtig schön in die Eier. 🙂

Bookhounds of London

Für Trail of Cthulhu erscheint bald eine neue „Kampagne“ (vielmehr ein campaign frame), in der die Spielercharaktere Dean Corso aus den Neun Pforten Konkurrenz machen:

Bookhounds of London is a campaign frame, by Kenneth Hite, for Trail of Cthulhu.

Your characters aren’t stalwart G-men or tweedy scholars this time around, serving their country or sealing off forbidden frontiers. They’re working the main chance, and selling maps (and maybe guidebooks) to those forbidden frontiers. They are book-hounds, looking for profit in mouldy vellum and leather bindings, balancing their own books by finding first editions for Satanists and would-be sorcerers. They may not quite know what they traffic in, or they may know rather better than their clientele. Peddlers of blasphemy and madness aren’t nice people, and the only consolation is that their customers are worse yet.

In a Book-Hounds of London campaign, the Investigators do not investigate horror and strangeness professionally. Rather, they investigate books about horror and strangeness and become, seemingly inevitably, drawn into the horror themselves. If they could just sell a pristine copy of the 1845 Bridewell edition of Nameless Cults, pocket their 40% (or 400%) and move on, they would. But it’s never that simple. Not for them. Not for book-hounds. Not in London. Not now.

Featuring new drives, hints for running your games as a “sandbox” and a sample adventure, Whitechapel Blackletter.

Das Buch war mal als London-Quellenband ohne Spielwerte angekündigt. Das Konzept Sandbox-Kampagne, mit einem netten Whitechapel Einführungsabenteuer, klingt aber auch nicht übel. Derzeit läuft das Playtesting, eine Veröffentlichung wird sicherlich nicht so lange auf sich warten lassen.

Cthulhu im Gaslicht – Die "Gefallenen"

Die Massen von Prostitutierten in den schmutzigen Gassen des East Ends sind das vielleicht bekannteste Symbol für die dunkle Seite der viktorianischen Gesellschaft. Jack the Ripper mordete hier, und auch Cthulhu-Ermittler im Gaslicht lernen sie meist früher oder später kennen, ob sie wollen oder nicht.

Im Rotlichtmilieu

Möglicherweise war es „das älteste Gewerbe der Welt“, doch die Urbanisierung des 19. Jahrhunderts brachte eine bis dato beispiellose Flut an Prostitution mit sich. Dabei war es meist schlicht und einfach die Armut, welche vor allem junge Mädchen aus der Unterschicht zu dieser Form des Gelderwerbs bewegte, da es in der Großstadt für ungelernte Frauen nur wenig andere Möglichkeiten gab, das eigenes Auskommen zu sichern. Oft aus zerrütteten Familien stammend, zwischen Arbeitshäusern und Heimen hin- und hergeschoben, gerieten diese Mädchen nicht selten bereits im Alter von sechzehn oder achtzehn Jahren auf „die schiefe Bahn“.  Prostitution war nicht per Gesetz verboten, jedoch drangsalierte die Polizei – so sie sich denn in diese Viertel verirrte – die Mädchen eher als sie vor Zuhältern und Dieben zu schützen. Und vor ansteckenden Krankheiten wie Tripper, Syphilis oder Gonorrhoe konnte sie ohnehin niemand schützen. Binnen einen Jahres waren die meisten Prostituierten infiziert.

Die Karriere auf der Straße war in der Regel kurz, da Prostitution für viele nur eine zeitweilige Notlösung darstellte.  Außerdem zogen sich die meisten Frauen zurück sobald sie sich ihren Dreißigern näherten und das Alter begann seinen Tribut zu fordern. Manche versuchten sich an anderen Gelegenheitsarbeiten, machten sich mit einem ihrer Freier sesshaft oder bleiben bei dem was sie gelernt hatten und wurden ihrerseits Bordellbetreiberinnen. Denn neben allen Entbehrungen, Gefahren und Ausgrenzungen fanden die jungen Frauen unter Ihresgleichen auch Unterstützung und Kameradschaft, ja geradezu Ersatzfamilien. Die „Schwesternschaft“ finanzierte einander sogar Arztbesuche und Beerdigungen. Wer sich in ihr Milieu begab und erwartete, dort auf gehorsame und verschüchterte Mädchen zu treffen – so wie es in höheren Schichten durchaus üblich war – hatte nicht mit dem Selbstbewusstsein und der Tatkraft dieser Frauen gerechnet, die von Kindesbeinen an hart für jeden Penny kämpfen mussten.

Doppelmoral und Sünde

Von dieser ganz eigenen Welt im Zwielicht der Gassen dürfte der für gewöhnlich eher gutbürgerliche Gaslicht-Ermittler jedoch relativ wenig wissen. In der bürgerlichen Gesellschaft galten die „Gefallenen“ – also die Frauen welche ihre Ehre aufgegeben hatten – als eines der Hauptprobleme der degenerierten Moderne. Die Kluft der Unmoral tat sich auf zwischen den auf keusche Podeste erhobenen Hausfrauen und Töchtern aus guten Hause und den Prostituierten, denen eine veranlagte sexuelleund moralische Verkommenheit zugeschrieben wurde. Den Missbrauch von Alkohol und Drogen, Kriminalität und vor allem die Verbreitung von schädlichen Geschlechtskrankheiten – all dies suchte und fand man im Milieu der käuflichen Lust. Dennoch galt es für einen Mann keineswegs als ehrenrührig, in seinem „Sexualtrieb“ eine Professionelle aufzusuchen, selbst wenn er verheiratet war. Vielmehr war es ein „notwendiges Übel“; ein „Ventil, die Ehe rein zu halten“. Die Prostituierten aber waren die Ausgestoßenen dieser Gesellschaft.

Ein beispielhafter Besuch im einschlägigen Viertel könnte für einen interessierten Ermittler so oder so ähnlich von Statten gehen: Mit der Droschke in besagtem Straßenzug angekommen wird er direkt auf Schritt und Tritt von jungen Frauen angesprochen. Ihre Kleidung ist auffällig aber von billigem Fabrikat. Dabei bieten sie nur ihre „Begleitung“ an, alles andere darf per Gesetz auf offener Straße nicht abgesprochen werden. Doch unser Ermittler hat bereits etwas anderes im Sinn: Er nähert sich mit raschem Schritt – Uhr und Brieftasche aus Vorsicht vor überall lauernden Dieben nie aus den Augen lassend – einer kleinen Absteige, wo er die resolute Dame des Hauses speziell nach einer ihrer Mieterinnen fragt. Rasch herbeigeholt fragt diese Dirne unseren Gentleman ganz forsch, ob er ihr nicht vier Shilling geben wolle. Sie habe sich erst vor kurzem ärztlich untersuchen lassen. Ihre Zuneigung mag gespielt und sie unter irgendeiner Droge sein, doch es genügt. Er zahlt wortlos und folgt seiner Begleiterin auf ihr Zimmer…

Szenarioideen

Diese düstere Seite der viktorianischen Gesellschaft, in der bürgerlichen Vorstellungen einen bodenlosen Abgrund der Sünde vermuten, kann für die Gentleman-Ermittler einen sehr eindrucksvollen Kontrast zu ihrem typischen Milieu bilden, ohne dass dafür die Stadt verlassen werden müsste. Abscheu und Angst, aber auch Faszination und Verlockung gehen hier Hand in Hand. Und wer weiß welche Unaussprechlichkeiten in diesen Gassen vor sich gehen, vor denen die Obrigkeit die Augen verschließt?

  • Die Öffentlichkeit ist geschockt: Eine bisher unbekannte Geschlechtskrankheit scheint sich beinahe über Nacht zu einer echten Epidemie ausgeweitet zu haben. Männer und Frauen aller Gesellschaftsschichten sind inzwischen betroffen und die Medizin ist machtlos. Harte Maßnamen gegen die Prostituierten werden gefordert, schließlich tragen diese die Schuld! Oder?
  • Grausam verstümmelte Körper werden in den Seitengassen Whitechappels gefunden und Scotland Yard steht vor einem Rätsel. Alle waren Männer die regelmäßig einschlägige Etablissements aufgesucht haben. Die Sensationsblätter haben eine neue Topstory: Jane the Ripperess. Was steckt hinter dieser blutrünstigen Mordserie im schmutzigsten Viertel der Stadt?
  • Getuschelte Gerüchte über einen neuen Höhepunkt der Scheinheiligkeit in der Oberschicht Londons machen die Runde: Unbeschreibliche Sexualpraktiken mit schamlosen Kurtisanen, gottlose Männer aus dem Adel die tausend Pfund und mehr für Jungfrauen aus der Arbeiterschicht bezahlen – und wer würde es schon wagen sich dieser Dekadenz entgegenzustellen?

(Literatur: Judith R. Walkowitz: Prostitution and Victorian Society. -und- Roger Davidson / Lesley A. Hall [Hg.]: Sex, sin and suffering. – Alle verwendeten Bilder stammen von commons.wikimedia.org)